Mit den beiden Parteitagen in der nächsten und übernächsten Woche tritt der Wahlkampf in seine heiße Phase. Die Schlacht unterscheidet sich sehr von vorherigen. Wenn auch manche Slogans freilich die alten geblieben sind.
Ich habe es immer wieder gesagt: John McCain und Barack Obama sind die beiden besten Nominierungen, die sich die Parteien hätten einfallen lassen können. Und egal, wie die Wahl ausgeht: Die Nominierungen sind bereits das erste Zeichen für "change". Das Land ist in Bewegung geraten.
Ganz schön ins Grübeln gerate ich, wenn ich mir vor Augen halte, wie dramatisch sich die Welt in so wenigen Jahren verändert. Mal gerade acht Jahre ist es her, daß George W. Bush
gegen die Politik des "nation building" Position bezog, die sogenannten "humanitären Interventionen" in aller Herren Länder ablehnte und so unschuldig wie ernsthaft erklärte, die Vereinigten Staaten hätten sich nicht überall einzumischen. Mal gerade vier Jahre ist es her, daß die Grande Olde Party auf dem Höhepunkt ihres Erfolges jeden Anhänger so beeindruckte, daß man meinen konnte, die Macht bleibe noch lange ungebrochen, die USA seien inzwischen so republikanisch wie Bayern "christlich-sozial" mit einer satten Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses und einem mit knapp 60 Millionen Stimmen und über 50% wiedergewählten Präsidenten. Heute schon steht die Partei von Lincoln und Reagan, wie ich
hier schon schrieb, vor dem Ende einer Ära.
Und wie gut ging es uns doch erst in den 90ern! Was war das ein goldenes Jahrzehnt! Den Kalte Krieg gewonnen, die USA die einzige Supermacht, die Wirtschaft boomte, überall auf dem Planeten ein paar Mini-Konflikte und das Internet und die New Economy auf dem weltweiten Vormarsch. Hie und da wurden ein paar Raketchen abgefeuert und im Feuilleton diskutierte man größtenteils gelangweilt über den kommenden "Kampf der Kulturen" (Samuel Huntington).
Wieviel Naivität man sich da erlauben konnte! War mir das Ergebnis der ersten Präsidentschaftswahl, die ich interessiert verfolgte, der von 1992, noch recht egal, war ich vier Jahre später, als ich dann auch selbst mitwählen durfte, Feuer und Flamme für den Präsidentschaftskandidaten der Republikaner Bob Dole. Irgendein Feindbild mußte man ja haben, und so war der 42. (eigentlich 41.) US-Präsident Zielscheibe meiner Angriffe und Anlaß für einen täglichen Wutausbruch. Meine Schulkameraden konnten das nicht verstehen. Was ich denn gegen den Clinton hätte. Der mache doch eine gute Figur, habe einen außenpolitischen Erfolg nach dem anderen und den USA ginge es doch gut. Ich war davon überzeugt (und damit habe ich freilich auch aus heutiger Sicht recht behalten), daß sich im Weißen Haus ein moralisch schwer verfehlter und charakterloser Widerwart breitgemacht hatte, der gegenüber den nationalen Interessen der USA indifferent war und das Land langfristig in die Bredouille bringen würde. Wirklich besorgt über den Zustand des Landes war ich nicht. Mußte ich ja auch nicht sein. Nach der verlorenen Wahl konnte man es sich als in Deutschland Lebender Ende der 90er ja sogar leisten, gegen die Einführung der Europäischen Währungsunion Unterschriften zu sammeln und die Bürger vor dem "Monopoly-Geld" zu warnen. Mehr Krise war ungeachtet der Entwicklung auf dem Balkan einfach nicht drin.
Für die Wahl 2000 war der Senator aus Arizona John McCain mein großer Favorit. Er war die Antithese zu Clinton. Ein charakterstarker Kriegsheld mit einem viel schärferen Profil als der Schnarchhahn Dole. Als sich nach Vorwahl in South Carolina schließlich der Gouverneur von Texas durchsetzte, unterstütze ich trotzig ihn. Ein einfacher durchschnittlicher Republikaner, der sich für Außenpolitik nicht sonderlich interessierte, und einfach ein paar Steuersätze senken wollte., gegen den ideologisch verblendeten Radikalökologen Al Gore. Der Texaner gewann mit 537 Stimmen Vorsprung in Florida, 271 Wahlmännern (ein Wahlmann Mehrheit), einer Gerichtsentscheidung von 4-3 Stimmen und einem Minus von 500.000 Wählerstimmen auf nationaler Ebene. Somit war für den entsprechenden Imageschaden schon vor Amtsantritt gesorgt und eine heikle Präsidentschaft begann. Aber stellte Bush mit dem ehemaligen Verteidigungsminister Cheney an seiner Seite, mit dem ebenfalls ehemaligen Verteidigungsminister Rumsfeld als dem neuen, und all den anderen nicht das seit langer Zeit erfahrenste Team zusammen? Hatten sie nicht alle schon in mehreren Republikanischen Regierungen gearbeitet? Ja, Bush würde wohl bei der Realpolitik seines Vaters anknüpfen.
Acht Monate nach Amtsbeginn wurde unsere heile Welt durch einen aus blankem Haß geborenen Massenmord zerrüttet, die Außenpolitik der Bush-Administration durcheinander gewirbelt. Wurde die Intervention in Afghanistan als erster Schritt im "War on terror" noch von so gut wie allen Kräften des Westens (der "zivilisierten Welt") unterstützt, so wurde ab 2002 der Interventionismus der Clinton-Regierung auf verschärfte Weise fortgesetzt. Die Intervention imIrak, die u.a. das Land, in dem ich aufgewachsen bin und lebe, in eine hitzige Stimmung gegen die USA und vor allem sein Staatsoberhaupt versetzte, gehörte nur zum Teil in die Kategorie "War on Terror", und war in erster Linie eine Maßnahme, den seit 1991 unfertigen Krieg zwischen Saddam Hussein und Washington D.C. endlich zu beenden. Damit begann Bush eine Politik, die für das Gegenteil dessen stand, was er immer vertreten hatte.
Im Winter 2002/2003 konnte mir speiübel werden, wenn ich die Figuren aus dem rotgrünen Milieu sah, an denen der völkerrechtswidrige Krieg gegen Jugoslawien vier Jahre zuvor, an dem sich die Bundesregierung mit infamen Lügen ihres Verteidungsministers und einer an Widerwärtigkeit nicht zu überbietenden Parole ihres Außenministers ("aber wir haben auch gesagt `Nie wieder Auschwitz`") beteiligt hatte, bestenfalls vorbeigegangen war, wenn sie ihn nicht unterstützt hatten, wie sie nun ihren "Friedenskanzler" feierten und gegen den "Kriegstreiber" Bush Sturm liefen. Ich selbst war traumatisiert von 09/11 und zu einer unaufgeregten Betrachtung der Lage wohl sowenig imstande, wie meine Gegner. Heute wissen wir, daß prinzipiell jeder aus jederm Lager, der damals irgendetwas zum Irak sagte oder schrieb, sich geirrt hatte. Aber heute wissen wir auch, daß es unter jedem Präsidenten irgendwann zu der Intervention gekommen wäre, daß die USA sich viel zu spät der Aufgabe gewidmet hatten, ihre seit Anfang der 1960er Jahre im Irak gemachten Fehler zu korrigieren und die folgen auszubaden.
Die Wahl von 2004 stand ganz im Zeichen des Krieges gegen den Terror. Gerade drei Jahre nach dem Anschlag war es für mich gar keine Frage, daß ich den amtierenden Commander-in-Chief unterstützen würde. Stärke gegen Schwäche, Entschlossenheit gegen Eiertanz. Der farblose John Kerry repräsentierte die Niederlage.
In diesem Spätsommer ist vielleicht die Zeit noch nicht gekommen, einen nüchternen Blick auf die vergangenen Jahre, auf die gemachten Fehler und ihe Konsequenzen zu werfen, das Versagen der Entscheider richtig einzuordnen, es an den richtigen Stellen überhaupt auszumachen. Wissen tue ich nur, daß sich das Land in einem internationalen Loch befindet und die noch amtierende Regierung weitestgehend handlungsunfähig ist. Die Staatsschulden sind unter einer Republikanischen Regierung ins Unermeßliche gestiegen, der Interventionismus aus dem Geiste Woodrow Wilsons wurde auf die Spitze getrieben, die Autorisierung von Folter hat unsere Rolle als Führung der zivilisierten Welt (angenommen, diese sei je eine solche gewesen) zerstört, das Image des Landes ist wie seine Währung im Keller, der wirtschaftliche Einfluß in der Welt schwindet dahin. China wird zur neuen Supermacht. Rußland zeigt dem Westen die Zähne, indem es ihm beweist, daß es entscheidenden Einfluß zumindest auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetrepubliken behält und behalten will. Und es nicht akzeptiert, daß die NATO sich beliebig in den Osten ausdehnt. Und nicht so macht, wie Marktwirtschaft und Liberalismus es gerne hätten. Die Kohlen im Irak glühen noch und die Mullahs in Teheran rücken der Atombombe täglich näher. Europa hat keine Antworten und will auch keine, die USA können nicht (mehr) antworten.
Und wir sehen mit Spannung auf das Duell zwischen einem Konflikt-Junkie und einem Bauer von Brücken. Moment, höre ich die wenigen Leser des Artikels: Hieß es nicht eben, das seien die besten Kandidaten? Ja, sind sie. Ich versuche nur selbst aus angemessener Perspektive auf beide zu schauen. In der Welt von McCain stehen der Soldat und der Kampf im Mittelpunkt. Das Leben ist Schmerz (die gehässige Parole "Want more pain, vote for McCain" hat durchaus einen Kern Wahrheit). Die Welt, in der Obama lebt, ist dagegen schwer zu durchschauen. Denn so charismatisch er ist (eigentlich, da hatt Matt Yglesias recht, wird die Grenze zur Perversion schon überschritten, wenn ein Kandidat so charismatisch ist, daß es ihm das als Schwäche ausgelegt wird), so viel ist an ihm auch Maske, Show, Entertainment. So pragmatisch er auch sein mag, mindestens so naiv ist er.
Schmerzhaft und besorgniserregend sind die Ereignisse der letzten Jahre, Monate und Wochen. Bestürzend auch, wenn man in den Spiegel schaut und die eigene Blindheit vergangener Zeiten erkennt. Mit der ich nicht der einzige war. Es ist irgendwo zwischen 2 und 3 Uhr nachts. Wird es bald wieder, so wie Anfang der 80er Jahre, als ich ein gerade aus den USA verzogener kleiner Junge war, heißen :"It´s Morning in America"?
Die Frage allein ist vielleicht wiederum Ausdruck von Naivität. Mir würde es aber reichen zu wissen, daß bei allem Schatten auch genügend Licht ist und bleibt.