Montag, 6. Oktober 2008

Lest mal lieber nichts, ihr Linken!

Zettel fürchtet die Marx-Lektüre einiger (linker) Studierender:

"Jetzt lesen sie also wieder ihren Marx, die linken Studenten. Und manche werden sich wieder, wie einst vor vierzig Jahren, vom Blitzen und Donnern seiner Sprache verführen lassen."

Marx wirklich gelesen haben dürften vor vierzig Jahren die wenigsten linken Studenten. Daß aber manche eine "Renaissance des Marxismus" befürchten, weil sich an einigen Hochschulen Grüppchen bilden, die ein bißchen über die Kritik der politischen Ökonomie plaudern wollen, zeigt doch, wie unausrottbar selbst die irrwitzigsten Ausprägungen des Antikommunismus sind. Trotz des Zusammenbruchs des real exisitierenden Sozialismus vor zwei Jahrzehnten.

5 Kommentare:

Zettel hat gesagt…

"Marx wirklich gelesen haben dürften vor vierzig Jahren die wenigsten linken Studenten"

Doch, das haben sie, lieber Mark Haverkamp. Nicht unbedingt das "Kapital" (dafür gab es Digest-Fassungen), aber "Lohn, Preis und Profit" und natürlich das "Kommunistische Manifest".

Zur Renaissance des Marxismus:

Die "Grüppchen" (immerhin gesponsert von der Partei, die in den Umfragen auf dem dritten Platz liegt) sind aus meiner Sicht nur ein Symptom.

Marx gilt wieder was. Sie werden in diesen Tagen in der Presse und in den Talkshows (kürzlich zB Norbert Blüm) immer wieder Sätze finden wie "Der alte Marx hat eben doch Recht behalten".

Und dann schreiben Sie noch, lieber Mark Haverkamp: "... wie unausrottbar selbst die irrwitzigsten Ausprägungen des Antikommunismus sind."

Dieser Satz hat mich geärgert.

Erstens - würden Sie auch beim Antinazismus von "unausrottbar" sprechen?

Zweitens, was in aller Welt sehen Sie am Antikommunismus (oder Formen davon) als "irrwitzig" an?

Der Kommunismus hat drei der vier großen politischen Massenmorde des Zwanzigsten Jahrhunderts zu veranworten (UdSSR, China, Kambodscha). Ihm sind unzählige Menschen zum Opfer gefallen, deren Leben zerstört, deren Willen gebrochen, deren Persönlichkeit vernichtet wurde.

Und wenn man dagegen angeht - dann soll das "irrwitzig" sein?

Das finde ich witzig.

Herzlich, Zettel

Mark P. Haverkamp hat gesagt…

Lieber zettel,

im ersten Punkt sind wir uns einig: Mit "Marx wirklich gelesen" meinte ich auch die Lektüre des "Kapital" in allen drei Bänden, die "Kritik der politischen Ökonomie" von 1859 usw.

In Ihrem Blogbeitrag gleich eine irrwitzige ausprägung von Antikommunismus zu erkennen, mag etwas über das Ziel hinaus geschossen gewesen sein. Unsere Standpunkte unterscheiden sich jedoch in unserer Auffassung von den totalitären Bewegungen des 20. Jahrhunderts. "Antinazismus" würde ich nicht als "unausrottbar" bezeichnen, wobei die Äußerungen von Antinazismus, wie wir sie heute bspw. beim Köpfen einer Wachsfigur erleben, gewiß mitunter auch "irrwitzig" zu nennen wären. Aber der "Antinazismus", nach dem Sie fragen, hat als antitotalitäre Haltung im Kontext heutiger Geschehnisse einen anderen Stellenwert als der Antikommunismus.

Sie können mir glauben, daß ich mich über das Einstehen für die Herrschaft des Rechts, für Demokratie und Marktwirtschaft nicht lustig machen würde. Und in der Verurteilung von Figuren wie Chavez dürfte ich Ihnen in nichts nach stehen. Aber Antikommunismus wird in meinen Augen dann absurd, wenn er blindlings alle Verbrechen, die unter dem roten Label begangen wurden, nach Schwarzbuch-Manier von Stephane Courtois aufaddiert, ohne irgendwelche strukturelle Unterscheidungen zu treffen, und diese Blutbäder dann mit einem ökonomischen und philosophischen Klassiker verrührt, der nicht bedeutender, aber auch nicht weniger bedeutend ist als Ricardo oder Smith (und die Frage, warum Marx seit Generationen eine größere Faszination ausklöst als alle anderen, ist sicher eine interessante, aber auch nicht allein mit den Blitzen und donnern seiner Sprache zu erklären, eben weil kaum einer der Faszinierten den größten Teil seiner Schriften gelesen hat). Ich denke im übrigen, daß uns der Antikommunismus gerade im Zeitalter der Systemauseinandersetzung ganz schön verblödet hat, etwa wenn der sojwetische Einmarsch in Afghanistan erthaft Anlaß bieten sollte, die Olympischen Spiele von 1980 zu boykottieren. Das war oft so manisch, daß wir die westliche Unterstützung nicht-kommunistischer Verbrecher zuließen oder goutierten.

Beste Grüße
Mark Haverkamp

Zettel hat gesagt…

Lieber Mark Haverkamp,

Sie schreiben:

"Aber Antikommunismus wird in meinen Augen dann absurd, wenn er blindlings alle Verbrechen, die unter dem roten Label begangen wurden, nach Schwarzbuch-Manier von Stephane Courtois aufaddiert, ohne irgendwelche strukturelle Unterscheidungen zu treffen, und diese Blutbäder dann mit einem ökonomischen und philosophischen Klassiker verrührt, der nicht bedeutender, aber auch nicht weniger bedeutend ist als Ricardo oder Smith".

Das Schwarzbuch ist meines Erachtens Pflichtlektüre für jeden politisch Interessierten. Es ist nur leider hundsmiserabel übersetzt; fast ungenießbar.

Daß in den Artikeln, die ja von rund einem Dutzend Autoren verfaßt sind, keine strukturellen Unterscheidungen getroffen werden würden, kann ich nicht sehen.

Nur ändern ja die verschiedenen Strukturen daran nichts, daß der Sozialismus, in welcher Form auch immer er realisiert wurde, verbrecherisch war. Mal in Form schlimmster Massenmorde, mal nur in Form ständiger Rechtsbrüche, wie in der DDR.

Wenn es Grund für eine "Anti-"- Haltung gibt, dann für den Antikommunismus. Der Kommunismus war die Pest des 20. Jahrhunderts; und anders als die andere Pest, der Nazismus, ist er noch nicht besiegt.

Dann schreiben Sie weiter:

"(und die Frage, warum Marx seit Generationen eine größere Faszination ausklöst als alle anderen, ist sicher eine interessante, aber auch nicht allein mit den Blitzen und donnern seiner Sprache zu erklären, eben weil kaum einer der Faszinierten den größten Teil seiner Schriften gelesen hat)."

Warum fasziniert Marx?

Weil er ein glänzender Journalist war, ein Agitator, der seinesgleichen sucht.

Weil er eine Welterklärung versprochen und diese in der Pose des Propheten vorgetragen hat.

Vor allem aber weil er zwei menschliche Grundbedürfnisse befriiedigt: Das, hinter die Kulissen zu gucken; zu erfahren,was die Welt im Innersten zusammenhält. Und das religiöse Bedürfnis, gut zu sein, gemeinsam mit anderen Guten für das Gute zu kämpfen.

Herzlich, Zettel

meffo hat gesagt…

Hallo an alle, mal ganz allgemein:

Die Sache ist doch die:
Dass diejenigen, die marxistische Theorien für unwissenschaftlich halten, es anderen am liebsten verbieten würden, sich mit diesen Theorien wissenschaftlich auseinanderzusetzen, also sie überhaupt zur Kenntnis zu nehmen und sie mit realen Fakten und alternativen Theorien zu vergleichen.

Seit Entstehung der Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert war dies die hauptsächliche Herangehensweise der akademischen Wissenschaft an von dorther stammenden Theorien:
1. ignorieren,
2. moralisch/politisch abzuqualifizieren und ihre Autoren zu diffamieren,
3. bestimmte Ideen und Argumente klamm heimlich sich selbst einzuverleiben (siehe etwa Max Weber und Talcott Parsons).

Es sollte in der Wissenschaft weniger darum gehen, wer etwas gesagt hat; sondern was er gesagt hat und ob dieses stimmt.

Gruß
globalmizzry

Mark P. Haverkamp hat gesagt…

Zu Stéphane Courtois:

http://danielleonschikora.blogspot.com/2008/10/vichyismus-light-stphane-courtois-redet.html

 
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