Montag, 2. März 2009

"Die Sehnsucht nach dem Ausnahmezustand"

Mit Pünktlichkeit nehmen es die Ideologiekritiker nicht so genau. Zwanzig vor zehn Uhr morgens am 28. Februar vor dem Eingang zum Kinosaal der Humboldt-Universität Berlin. Etwa acht Leute stehen vor der Tür und rauchen. Drinnen läuft Sören Pünjer im grauen Jackett die Treppe runter.

Um 10 Uhr sollte die Veranstaltung beginnen. Zehn nach zehn sind fünf bis sechs Leute im Saal, von denen einer eine Ewigkeit lang ein Mikro testet. Etwa um 10.35 Uhr beginnt Justus Wertmüller seine Einführungsrede. Der Gemeindesaal in Kreuzberg, in dem man 2003 und 2005 (für 05 gab Justus übrigens den falschen Monat an, die Konferenz war damals im November, nicht im Oktober) getagt habe, sei von einem gewerkschaftsnahen Verein übernommen worden und daher für die Bahamas nicht mehr zu benutzen. Justus wird lauter. Fotografieren sollten die Teilnehmer bitte unterlassen, weil man keine Lust habe, sich in "irgendwelchen Scheißforen" wiederzufinden. Dann wird das Label geklärt. Antideutsch könne die Veranstaltung nicht genannt werden, seit sich Formationen wie die Gruppe kittkritik so bezeichenen. Oder sich antideutsch nennnende Gruppen, die in der WM 2006 einen völkischen Aufbruch entdeckten. Willkommen zur Ideologiekritischen Konferenz!

Mit einem treffenden Bashing des von FAZ bis konkret hochgejubelten Autors Dietmar Dath legt Philipp Lenhard von der Goerg-Weerth-Gesellschaft Köln los. An dem Leninisten Dath und dessen neuem Buch zeigt Lenhard exemplarisch, welche Heilserwartungen die Linke mit der aktuellen Krise verbindet.

Im Laufe des Tages trudeln mehr und mehr Interessenten ein. Beim letzten Podium, das nach 18.30 Uhr beginnt, ist der Saal gut gefüllt. Die Besucherzahl der Antideutschen Konferenz 2005, die von etwa 300 Leuten besucht war, erreichen sie aber nicht. Daß die meisten Wertmüllers Einführungshinweise nicht mitbekommen hatten, rächt sich abends. Ein durch und durch harmlos aussehender Kollege fotografiert das Podium. Wertmüller unterbricht den Referenten Uli Krug und poltert. Der Fotograf sagt eingeschüchtert "Ich löschs" und schaut dabei, als folge als nächstes die Enthauptung.

Überragend gut sind die Referate von Manfred Dahlmann, der sich über die gegenwärtige Rolle der Wissenschaft als Priester auslässt, Jan Gerber, der in seinem Vortrag über die Regression der radikalen Linken, mit der man sich leider immer wieder beschäftigen müsse, den Begriff des Glückes in den Mittelpunkt stellt, und Gerhard Scheit über die Sehnsucht nach dem Weltsouverän, wie sie mit der Wahl von Barack Obama allgegenwärtig geworden ist. Auch die Vorträge von Sören Pünjer, Cemens Nachtmann, Alex Gruber und Uli Krug sind erhellend. Fortlaufend wird mit voller Zustimmung aus Oscar Wildes Aufsatz "Die Seele des Menschen im Sozialismus" zitiert. Der tauchte vor dreieinviertel Jahren nur kurz auf. Heute ist er der neue Held. Zum Abschluß dreht Wertmüller in seinem Vortrag "Was vom Westen bleibt" etwas ab, indem er (wieder mal) eine Lanze für den Katholizismus bricht und dabei ernsthaft meint, daß man auch am Geheule über den jüngsten "in der Tat hochnotpeinlichen" Vorgang erkennen könne, wie der Kulturkampf seit Bismarck bis heute fortgesetzt werde. Schließlich bekommt er sich in seinen Ausführungen zum Gegensatz von Okzident und Orient dann aber doch wieder in den Griff. Es herrscht Zeitdruck, für die Diskussion zum letzten Podium bleiben noch acht Minuten. Möglichkeiten zum Austausch gibt es ja noch bei der Abendverstaltung. "Ist nun Diskussion oder nicht?" ruft es aus dem Saal. "Versuchs."

Der harte Kern tagt im Anschluß im altbekannten ad vena. Wo es so spät, sehr spät wird.

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Zuppis Gedanken

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