Sonntag, 26. Juli 2009

"Rente mit 69" ist noch viel zu wenig

Viel zu spät schreibe ich diesen Beitrag wieder. In der Blogosphäre entsprechen 24 Stunden fünf Jahren und wann war dieses Geschrei um die Modellrechnung der Bundesbank? Schon so lange her, daß es wirklich bald politisch relevant werden könnte....

Denn in das Visier genommen wurde das Jahr 2060. Trotzdem war dieser Vorstoß, der mir viel zu zaghaft erscheint, Sozen wie Olaf Scholz Anlaß genug, um rumzubrüllen, als wären er oder irgendeiner der wenigen Hartnäckigen, die dieses Jahr noch SPD wählen, selbst davon betroffen.

Es sind nicht nur demographische Veränderungen, sondern auch (teilweise damit einhergehende) gesellschaftliche, technologische und eben auch physiologische, die eine auf lange sicht hin angelegte Analyse der altersabhängigen Staatsausgaben in Betracht ziehen muß.

Die Bundesbank nimmt in ihrem Monatsbericht Juli Projektionen der "Ageing Working Group" als Grundlage. Unter der voraussetzung, daß die Erwerbsbeteiligung der älteren Personen steigt und die Arbeitslosigkeit sinkt, wird bis 2060 ein Rückgang der Personen im Erwerbsalter um 28,5 % (15,5 Mio Personen) angenommen. Die Zahl der Erwerbspersonen soll dementsprechend mit 25,5 % weniger stark zurückgehen. Um die Erhöhung der altersabhängigen Ausgaben zu begrenzen, schlägt die Bundesbank eine Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 69 Jahre vor. Der Rückgang des Arbeitskräftepotentials soll ferner durch eine höhere Erwerbsbeteiligung der 55- bis 64-Jährigen gedämpft werden, wobei hier die AWG bereits von einem Anstieg um 16 Prozentpunkte auf 74 % ausgeht.

Ich glaube, die vor uns liegenden Jahrzehnte werden weitaus tiefgreifendere Veränderungen mit sich bringen und
-eine Erhöung des durchschnittlichen Renteneintrittsalters auf 69 Jahre wird nicht ausreichen
-die Hauptbelastung mit der Erwerbsarbeit, die heute bei den 30- bis 50-jährigen liegt, wird sich auf die 35- bis 60-jährigen verlagern
-die gesellschaftliche Arbeitsteilung muß sich viel mehr flexibilisiert werden
-durch Verkürzung der Ausbildungszeiten läßt sich die erwerbstätige Phase eines Individuums am allerwenigsten verlängern
-das Wachstum der Arbeitsproduktivität wird den Rückgang der altersabhängigen Staatseinnahmen nicht alleine abfedern, aber er wird über die Lebenszeit ohne Zweifel ein deutliches mehr an Freizeit für jeden zur Folge haben

Wir befinden uns noch immer in einem Prozeß der techno-physischen Evolution (vgl. dazu die Schriften des US-Nobelpreisträgers für Wirtschaftswissenschaften Robert Fogel). Weltweit sinken (bis auf vielleicht in Rußland oder Angola) die Mortalitäts- und Fertilitätsraten, steigen die Humankapitalinvestitionen. Vor allem aber wächst, und das bleibt in den meisten Modellen unberücksichtigt, d.h. es steigt nicht nur die Lebenserwartung stetig, sondern die Menschen werden auch bei viel besserer Gesundheit und Kondition immer älter.
Die Reaktionen auf den Bericht der Bundesbank zeigen, wie wenig das verstanden wird. In dieser Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft verschwindet die von den sozialdemokraten immer noch beschworene Schwerstarbeit. die wenige, die übrig bleibt, wird tatsächlich vielleicht nicht von 68-jährigen, aber doch von deutlich älteren Arbeitern erledigt werden können, als früher.
Das durchschnittliche Alter des Eintritts in das Berufs- und Steuerzahlerleben ist jahrzehntelang gestiegen. Mittlerweile ist dieser Anstieg aus einer Reihe von Gründen zu einem Halt gekommen: Verkürzung der Schulzeit, Verschulung des Studiums etc. Und dennoch glaube ich, daß dieses Alter in der Zukunft eher weiter ansteigen wird bzw. die Erwerbsphase durch zahlreiche Weiterbildungen immer wieder unterbrochen sein wird. Erstens nimmt die Bedeutung des "lebenslangen Lernens" in dieser Wissensgesellschaft weiter zu. Zweitens hat die unvergleichlich höhere Produktivität älterer Menschen eben auch den schönen Effekt, daß Jüngere mehr und mehr Kindererziehung vor den Berufseinstieg werden ziehen können.

Wenn man die Publikationen von James Vaupel liest, gewinnt man den Eindruck, daß die Lebenserwartung noch viel weiter ansteigen wird, als wir es uns zu prgnostizieren waren. Die durchschnittliche (!) Lebenserwartung von Frauen könnte im Jahr 2100 110 betragen. Ja, es ist Zeit, unsere "Lebensläufe völlig neu (zu) denken".

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