Christian Soeder verweist auf ein SPIEGEL-Interview mit Bushido, der im Zusammenhang mit der Fußballweltmeisterschaft ein paar Bemerkungen zur Integration macht, die ich für genauso richtig wie Christian halte. Mir springt ein Satz ins Auge.
Bushido: Ja, aber ich finde es schade, dass wir unser Land kleiner machen, als es ist. Sehen Sie mal, wie gut es uns geht während der WM: nicht wirtschaftlich, ich meine, im Kopf, im Herzen, in der Psyche. Wir sind befreit. Wir können unsere Flagge aus dem Fenster hängen, wir können sie ans Auto hängen. Niemand wird dich blöd angucken oder für einen Nazi halten.
Im Herzen und in der Psyche befreit. So befremdlich ich überhaupt die Tatsache finde, daß sich während einer WM zahlreiche Leute für Fußball zu interessieren beginnen, die mit ihm sonst rein gar nichts anfangen können, so sehr frage ich mich gerade nach dem, was ein solches WM-Ereignis zu etwas Befreiendem macht.
Ja, die Begeisterung für ein bestimmtes Team, für den ein oder anderen Spieler kann aufbauen und Alltagsfrustrationen vergessen machen, wie derlei "Spiele" in jedem Sport eben als Ablenkung von der Tristesse des Daseins oder dem eigenen Elend taugen. genauso kann der Enthusiasmus umschalgen in eine Vertiefung der eigenen Aggressionen und Unzulänglichkeit. Der Fan empfindet die Niederlage des favorisierten Teams nicht einfach nur als Enttäuschung, sondern als persönliche Niederlage, als sein eigenes Scheitern. Wer in den letzten Tagen und Wochen auf feiernde Spanier einprügelte, Müll auf Straßen verteilte oder Scheiben einschlug, fühlte sich offensichtlich nicht befreit. Soweit muß man aber gar nicht gehen: Auch wer trotzig reagierte und wieder einmal den "Weltmeister der Herzen" oder den "eigentlichen Weltmeister" halluzinierte, war offensichtlich nicht einfach nur enttäuscht.
Und ganz grundsätzlich richten sich gerade im Fußball "Fans" oft mit ihrer Leidenschaft zugrunde. Ich hatte in den 90ern einen Mitschüler, der so eingenommen war von seinem SV Waldhof Mannheim, an nichts anderes denken konnte, daß diese Manie ihn letztlich um sein Abitur brachte.
Was aber die Leidenschaft für das Team in Europa- und Weltmeisterschaften zusätzlich interessant oder vielleicht eben auch problematisch macht, ist die Frage der nationalen Zugehörigkeit. Vor zwei Jahren freuten sich kurz vor Beginn der EM beim letzten Freundschaftsspiel in einer Kneipe ein Kollege und ich darüber, daß Weißrussland gegenüber Deutschland in Führung ging. Schon wurden wir angepöbelt: Wir würden offensichtlich im falschen Land leben. Dabei war der Grund für unsere Freude eigentlich nur, daß wir vorher darauf gewettet hatten. Die Erwartung, dass nationale Zugehörigkeit zwingend zur Identifikation mit einem Fußballteam führen muß, scheint also weit verbreitet zu sein. In der vergangenen Woche schrieb ein Freund nach der deutschen Niederlage gegen Spanien, er sei zu einem kleinen Teil Holländer und zweimal gegen Spanien verlieren wolle er nicht. Manche meinen, wenn nichts anderes rettendes mehr bleibt, sich also an ein Team klammern zu müssen, weil ein Urgroßvater wohl der dahinter stehenden Nation entstammte. Wie befreit sie sein müssen...
Im Deutschen Nationalteam spielen Männer mit "Migrationshintergrund", die Paradebeispiele sind für gelungene Integration. Und die sich selbstverständlich sich als Angehörige dieser Republik fühlen, wie der homophobe Rapper aus der deutschen Hauptstadt richtig beschreibt. Konnte man während der Beckenbauer-WM 1990 kurz vor der Wiedervereinigung noch berechtigt Angst vor der Tendenz diverser Fans zu völkischem Größenwahn haben, der sich anfang der 90er in Angriffen auf Asybewerberheimen dann auch zeigte, so lebt heute in einer anderen Welt, wer im Partyzirkus von 2006 und 2010 ernsthaft die braune Volksgemeinschaft wittert. Dennoch ist jemand, der sich über eine deutsche Niederlage erleichtert zeigt, vielleicht auch nur jemand, der sich gar nicht erst in den Sog von befreienden und beengenden Spielen hineinziehenlassen und in der nächsten Nacht ungestört schlafen will. Weiterhin bleibt Kritik an den WIR-Überhöhungen auch in Zukunft ganz angemessen. Und Bushido bleibt ein Brechmittel, das ich nicht als gelungenes Beispiel von Integration anführen würde.
1 Kommentar:
"Some people think football is a matter of life and death. I don't like that attitude. I can assure them it is much more serious than that." Bill Shakly - Sunday Times, 4. Oktober 1981
Kommentar veröffentlichen